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In der Nähe des Kyffhäusers bei Bad Frankenhausen, in der kleinen thüringischen Gemeinde Oldisleben, stellt die 1872 erbaute und im Dezember 1990 stillgelegte Zuckerfabrik in vieler Hinsicht ein einzigartiges Industrie-Denkmal dar. In den 119 Jahren ist die Bausubstanz durch Um- oder Anbauten kaum verändert worden. Die Außenmauern sind aus Muschelkalk und Rotsandstein mit Bogenfenstern, und auf den gusseisernen Säulen im Parterre steht noch weitgehend die originale Holzbalkenkonstruktion des Ober- und Dachgeschosses. Die Ausrüstung mit sechs Dampfmaschinen und anderen historischen Apparaten ist einmalig.
Bereits 1836 ist in Oldisleben eine Rübenzuckerfabrik, eine sogenannte „Saftquetsche", errichtet worden, von der heute noch ein Gebäude steht. Sie wurde stillgelegt, als 1872 die Maschinenfabrik Röhrig & König, Magdeburg, nebenan die neue Fabrik für die Verarbeitung von 350 t/d Rüben baute. Die ersten 2842 t Rüben wurden vom 18. Februar bis Mitte April 1873 verarbeitet. Bereits 1889 hat die Hallesche Maschinenfabrik die Kapazität auf 525 t/d erhöht. Um 1890 verarbeitete die Fabrik in der Kampagne rund 40 000 t Rüben, davon stammten drei Viertel aus Eigenanbau, und erzeugte rund 5000 t Rohzucker. Zwecks Sicherung des Kapitalbedarfs und der Rübenbasis wurde 1892 die eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung in eine GmbH umgewandelt, die ab 1903 die Anlagen von der Maschinenfabrik Sangerhausen für die Verarbeitung von mehr als 600 t/d erweitern ließ.
Die Elektrifizierung begann 1915 mit Aufstellung eines Generators (der bis zuletzt in Betrieb war) zur Stromerzeugung für Beleuchtung und Pumpen. Bei gleichbleibender Rübenverarbeitung wurde die Fabrik 1922 von der Braunschweigischen Maschinenbauanstalt auf die Erzeugung von Weißzucker umgestellt.
Nach 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Weißzuckerfabrik Oldisleben zu den wichtigsten Lebensmittelbetrieben des Landes Thüringen für die Versorgung der Bevölkerung.
Als Hauptantriebe dienen Dampfmaschinen, die dank jahrzehntelanger sorgfältiger Pflege voll funktionsfähig sind. Die jüngste dieser Kraftmaschinen arbeitete 65 Jahre, die älteste 108 Kampagnen! Das Überleben dieser Zuckerfabrik mit „eingefrorener" Technikgeschichte und vielen arbeitsaufwendigen sowie energieintensiven Verfahren in den Nachkriegsjahrzehnten mit schneller industrieller Entwicklung ist eine „Leistung" der sozialistischen Wirtschaft und ihres Mangels an Investitionsmitteln, aber auch das Verdienst der Mitarbeiter der Fabrik.
Auf technikgeschichtlich interessante Apparate und Anlagen, darunter Kraft- und Arbeitsmaschinen für wichtige Verfahrensschritte der Zuckerfabrikation, sei auf den folgenden Seiten hingewiesen.
Die Rübenfahrzeuge werden von Hand entladen bzw. ihre Ladung wird in den 1923 gebauten Rübenkeller gekippt. In einer 2,4 m tiefliegenden Schwemmrinne strömen die Rüben (ursprünglich von Hand in die Schwemmrinne geworfen) in die Fabrik. Die gewaschenen Rüben fördert eine Schnecke in eine Chronos-Kippwaage, Baujahr 1909, die als einzige Anlage auf dem Dachboden steht. Der Waagenkorb neigt sich bei durchschnittlich 400 kg Füllung, die Kippungen werden gezählt.
Für den Antrieb des Generators sowie ursprünglich der Rübenwäsche, Schnitzelpressen, Schneidmaschinen und Transporteinrichtungen für Rüben und Schnitzel dient als Hauptenergieerzeuger der historischen Zuckerfabrik eine liegende Einzylinder-Dampfmaschine. Sie hat ein sechsrilliges Seilschwungrad und treibt über ein Hauptvorgelege den Drehstromgenerator an, der den Strom für die Pumpen der zentralen Wasserversorgung und die Beleuchtung erzeugt.
Das Saftgewinnungsverfahren mit der Diffusionsbatterie wurde in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts von Julius Robert entwickelt. Es löste die bis dahin verwendeten Pressen ab. Diffusionsbatterien waren bis nach dem 2. Weltkrieg Bestandteil jeder Rübenzuckerfabrik. Die in Oldisleben vorhandene Batterie ist die einzige in Europa, denn heute werden nur kontinuierliche Anlagen verwendet. Die 1906 installierte Batterie mit 12 Diffuseuren von je 65 hl Inhalt wurde später um 2 Diffuseure erweitert. Die Diffuseure sind in zwei Reihen angeordnet und saftseitig hintereinandergeschaltet. Eine Schneidmaschine erzeugt die Rübenschnitzel. Über Rechenförderer und Schurren gelangen die Schnitzel in die Diffuseure, deren Deckel und Bodenklappe beim Füllen bzw. Entleeren sowie alle Ventile für Entlüftung, Wasser, Rohsaft und Dampf Handbedienung erfordern.
Der Kalk für die Saftreinigung wird in einem belgischen Doppelkegel - Kalkofen, Baujahr 1898, Kapazität 201 Kalk je Tag, gebrannt. Er steht in einem Anbau an das Filterhaus. Zum Füllen des Kalkofens wird der obere Verschluss mittels der hand-betriebenen Seilwinde angehoben Kalksteine und Koks rutschen durch den Einfülltrichter in den Kalkofen.
Kalkstein und Koks werden in der Kipplore über einen Seilaufzug mit 11 m Hubhöhe dem Kalkofen zugeführt. Als Gegengewicht für den Förderkorb dient ein Wasserkasten, der für den Fördervorgang über die Rohrleitung mit Wasser gefüllt wird. Nach der Entleerung wird die Kipplore wieder in den Förderkorb geschoben und der unten stehende Wasserkasten entleert; der Förderkorb bewegt sich daraufhin abwärts. Für eine Nachfüllung des Ofens werden drei Loren Kalkstein und eine Lore Koks benötigt.
Die älteste Anlage, eine Balancier- Dampfmaschine, trieb ursprünglich mehrere Pumpen für die Förderung von Fabrikationssäften an. Sie pumpt die aus dem gebrannten Kalk hergestellte Kalkmilch. Der auf der Mittelsäule gelagerte Balken, Balancier genannt, überträgt die senkrechte Bewegung des Dampfkolbens auf die Kurbel des Schwungrades und die Pumpenzylinder. Die Vakuumpumpe des Kondensators der Verdampfanlage treibt eine Dampfmaschine für Antrieb der Kalkofengaspumpe
Das Kalkofengas, das beim Kalkbrennen entsteht, komprimiert eine liegende Einzylinder-Dampfmaschine, Baujahr 1918, für die Carbonatation der Saftreinigung.
Drei Verdampfungskristallisatoren mit Röhrenheizkammern werden mit Retourdampf der Dampfmaschinen beheizt. Sie sind zur Wärmeisolation mit Holz verkleidet. Eine liegende Einzylinder-Dampfmaschine mit Schiebersteuerung, Baujahr 1903, treibt die Vakuumpumpe des Kondensators der Nachproduktkristallisation an.
Oldisleben ist in Europa die letzte Zuckerfabrik, die mit Dampfmaschinen, Diffusionsbatterie
und anderen historischen Apparaten gearbeitet hat, die Vorfahren unserer heutigen Technik sind. Damit stellt sie ein einzigartiges Industrie - Denkmal dar, das unbedingt als technisches Museum zu erhalten ist. Die Zuckerindustrie war Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland mit 400 Fabriken nicht nur einer der größten Steuerzahler und der größte Exporteur, sondern auch eine Lehrmeisterin für andere Industrien.